Historie tím,
že lidi zpravuje o minulosti,
umožňuje jim soudit přítomnost
.“


Thomas Jefferson

Die Wahrheit über Oskar Schindler

Weshalb es Legenden >>über gute Nazis<< gibt

Die Arbeit der Sachbuchautorin Jitka Gruntová auf ihrer eigenen Homepage zu würdigen hieße Wasser in die Svitava zu gießen. Aber es macht Sinn, 60 Jahre nach dem Ende des II.Weltkrieges Fragen nach der Aktualität des Buches der Autorin Jitka Gruntová zu stellen und zu beantworten, dessen 2. überarbeitete Auflage im Mai d.J. im Berliner Verlag edition-ost unter dem Titel „Die Wahrheit über Oskar Schindler – weshalb es Legenden über  „gute Nazis“ gibt.“ erschienen ist. Die wichtigste Antwort darauf hat Jitka Gruntová selbst auf diesen Seiten gegeben, indem sie die weltweit verbreitete Legendenbildung um Oskar Schindler mit den Belegen von Archiven und Zeitzeugen abgewogen hat.

Als Hollywood Oskar Schindler (1908-1974) auf die Leinwand brachte, wurde der „sudetendeutsche“ Fabrikant binnen weniger Jahre weltberühmt. Steven Spielbergs Film »Schindlers Liste« bekam 1994 sieben Oscars und der Regisseur 1998 das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. In diversen internationalen Hitlisten rangiert der Streifen ganz vorn: Platz 3 bei den besten Leinwand-Epen aller Zeiten, Platz 9 der 100 besten Filme aller Zeiten, Platz 3 der 100 am meisten inspirierenden Filme aller Zeiten. In der Top-250-Liste der bestbewerteten Filme der Internet Movie Database befindet sich »Schindlers Liste« auf Platz 6 …

Der Hollywood-Film spielte weltweit 321 Millionen Dollar ein.Auch daran ist ersichtlich, dass es sich primär um ein kommerziell-künstlerisches Ereignis handelte, obgleich doch bei dieser Literaturverfilmung – nach Thomas Keneallys Roman »Schindler’s List« (1982) – stets die politische Botschaft herausgestellt worden war. Film »John Rabe« (2009), dessen Held als »Schindler von China« ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden sollte. Der aber blieb, wider Erwarten, nur ein nationales Ereignis. Vielleicht schien die Fabel ein wenig maßlos: Schindler wurde die Rettung von 1.200 Menschen zugeschrieben, Rabe gleich einer Viertelmillion.

Zu Beginn des Jahres 2010 strahlte das ZDF in seinem »Montags-Kino« den »spannenden Widerstandsthriller ›Das schwarze Buch‹« aus, eine holländisch-deutsch-belgisch-britische Gemeinschaftsproduktion. »Basierend auf einer wahren Begebenheit wird die Geschichte der jüdischen Sängerin Rachel Stein erzählt, die sich nach der Ermordung ihrer Eltern holländischen Widerstandskämpfern anschließt und als Spionin auf die deutschen Besatzer angesetzt wird. Dabei verliebt sie sich in den hochrangigen SS-Offizier Müntze und gerät in schwere Loyalitätskonflikte«, so die deutsche Sendeanstalt in der Eigenwerbung.

Solche Kunstwerke erfüllen einen Zweck: Sie kreieren und verbreiten Legenden, keineswegs Geschichte. Man möchte, dass sich die Geschichte so zugetragen hat. Mit »guten«, »menschlichen« Nazis. Unausgesprochen schwingt die Botschaft mit: Wenn es in einem solchen verbrecherischen System solche edlen Charaktere gab, kann das ganze System nicht so kriminell gewesen sein. Wir wollen wissen: Wer war dieser Oskar Schindler, der die Vorlage für einen solchen Film lieferte? Wie und wo lebte er, was tat oder unterließ er? Ist es gerechtfertigt, ihn auf einen Denkmalsockel zu heben? 

Jitka Gruntová, orts- und landeskundige Landsfrau von Oskar Schindler, hat es in nahezu zwei Jahrzehnten  akribischer Nachforschungen in nationalen und internationalen  Archiven vermocht, chritt für Schritt jenes Geflecht von Legenden und Tatsachen, das Schindler und seine Lobby um dessen Wirken während der letzten zwei Kriegsjahre gewoben haben, zu entwirren und auf belegbare rationale Grundlagen zu stellen, soweit das die Akten- und Quellenlage heute noch zulässt. Dabei ist sie nicht selten auf mangelnde Sorgfalt bei Journalisten und Autoren wie auf verständliche sowie vermutlich bewusste Gedächtnislücken von Zeitzeugen gestoßen, die in mühsamer Kleinarbeit zu schließen und zu verifizieren waren.

Die Autorin stellte die künstlerische Freiheit von Romanautoren und Filmregisseuren nie in Frage. Sie nahm allerdings daran Anstoß, dass – flankiert von Medien und »Zeitzeugen« – eine Legende aufgebaut und genährt wurde, die als historische Wirklichkeit wahrgenommen werden sollte. 

Schindler selbst war bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit schon nach Kräften bemüht, mit umtriebigen PR-Aktivitäten ein Image zu pflegen, das seine Rolle als Sklavenhalter und Kriegsgewinnler in eine Wohltäterfigur umzuwidmen erleichtern sollte.

Das Interesse des weltbekannten, vor den Nazis 1935 geflohenen Filmregisseurs mit jüdischem Hintergrund, Fritz Lang1 an Schindlers Geschichte geht offenbar auf Schilderungen von Leopold Pfefferberg alias Paul Page2 und andere zurück, die ganz im Sinne der Legendenbildung Schindlers und der Verklärung ihrer eigenen Rolle in der Nachkriegszeit auch international aktiv geworden sind.

Ein 17-seitiger Brief Oskar Schindlers aus Buenos Aires an Fritz Lang vom Juli 1951 war erkennbar von dem Bestreben diktiert, die eigene Vita  in möglichst günstiges Licht zu tauchen und sie dem Regisseur als Filmstoff anzutragen. So darf man eine Reihe seiner Darstellungen als eher untertriebene Sichtweisen ansehen, auf die er allerdings größten Wert legt: »Erst will ich feststellen, dass ich nicht Altreichs-Deutscher, sondern Sudetendeutscher bin, also Beutegermane, und gehöre heute in die Millionenarmee der Heimatvertriebenen. (Mir sind die Bilder meiner Flucht und Erniedrigung mit all dem blutigen Gräuel der sadistischen Meute der Tschechei genauso lebhaft in Erinnerung wie die Untaten deutscher ›Übermenschen‹ gegen wehrlose Juden, Polen, Frauen und Kinder).

Als zweites Moment, das richtigzustellen ich für wichtig halte, ist, dass ich kein hohes Parteimitglied war, ich verfügte nicht einmal über ein Parteibuch, sondern eine Zahlkarte als Anwärter. […] Auch erkannten wir bald den Segen der Besetzung resp. späteren Anschluss. Waren schon nach dem Tode Masaryk[s]3 unter dem Scharlatan Benesch4 unsere Rechte klein geworden (was Lord Runciman5 u. Chamberlain6 als völkerrechtswidrig erkannten und so den Anschluss legalisieren halfen), so waren wir nach dem Anschluss wieder nicht vollwertig, nur unsere Pflichten wurden ungeheuer.«7

Schindler knüpfte schließlich die Erwartung an den Adressaten, dass der weltberühmte Regisseur aus Schindlers Geschichte einen »Großfilm Sudetia« erschaffen möge.

Man geht sicher nicht fehl in der Annahme – zumindest ist es nicht auszuschließen –, dass ein Mann wie Lang, Gründe sah, sich einem solchen Stoff, wie ihn Schindler ihm angeboten hatte, zu verweigern. Der deutsche Antifaschist Fritz Lang hatte nicht nur Filmgeschichte geschrieben – er war in den USA Mitbegründer der »Anti Nazi League« und hatte gemeinsam mit Bertolt Brecht 1943 den antifaschistischen Film »Hangmen also die« (»Auch Henker sterben«) geschaffen. Schindlers maßlose Selbstüberschätzung und seine Bildungsdefizite verführten ihn dazu, schlicht den falschen Adressaten anzusprechen.

Es musste ein Vierteljahrhundert Gras über das historische Geschehen wachsen, ehe die Bemühungen der Schindler-Lobby nach dessen Tod 1974 erfolgreich waren und das hässliche Bild des gerichteten Judenmörders Adolf Eichmann8 durch die Legende des Judenretters Oskar Schindler zu verdrängen begannen.

Zwei Jahrzehnte später erschienen die »Erinnerungen einer Unbeugsamen« von Emilie Schindler9 und »Ich, Oskar Schindler – die persönlichen Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente«: Sie verliehen der Legende Authentizität.

Damit keine Missverständnisse entstehen: jedes gerettete Leben von Naziopfern – aus welchen Motiven dies auch geschehen sein mag – war eine Tat, die Beachtung und Würdigung verdient. Selbst wenn sie als Alibi gedient haben sollte, um angesichts des verlorenen Krieges die eigene Haut zu retten. Selbst wenn sie das Ergebnis (später) Einsicht war, ist auch sie zu würdigen. Es ist schon eine spannende Frage zu klären, wie fließend die Grenze war zwischen Profitstreben mittels Sklavenarbeit, zaghaft wachsenden moralischen Skrupeln und der Chance für eine Lebensversicherung nach dem verlorenen Kriege. Das zu bewerten würde die vorliegende historische Dokumentation sprengen. Es war auch nicht die Absicht der Autorin, dies zu untersuchen.

Aber dass die Überlebenden von Schindlers Konzentrationslager wie Hunderttausende andere ihre Freiheit 1945 der Befreiungstat der Roten Armee zu verdanken haben und sie ihr Leben vor allem mit ihrem Lebenswillen, ihrem Schweiß, ihrem Mut erkämpft und manche von ihnen in nicht geringem Maße mit ihrem Vermögen erkauft haben, steht außer Frage und bleibt im historischen Gedächtnis der zivilisierten Welt.

Im April 2009 versuchte eine Agenturmeldung aus Australien die Schindler-Legende neu zu beleben. In der New South Wales State Library in Sidney hatten Bibiothekare Schindlers Liste »entdeckt«. Ein Jahrzehnt zuvor hatte Thomas Keneally, der Autor von »Schindler’s Ark«, dieser Bibliothek eine Kopie jener Liste vom 18. April 1945 zusammen mit anderen archivwürdigen Unterlagen übergeben. Yad Vashem Jerusalem und andere Archive bewahren mehrere Kopien davon seit Jahrzehnten auf. Also eigentlich nichts Neues. Oder doch? Wenn seit April 2009 über 3.000 neue (zu den bereits vorhandenen 1,6 Millionen) Einträgen in der Internetsuchmaschine Google hinzukamen, die die Mumie der Schindler-Legende im öffentlichen Gedächtnis halten sollen, so war dies doch eine (erhoffte) Wirkung auf diese Meldung. Aber vielleicht hatte nur ein sensationsgieriger Journalist eine Ente flattern lassen. Wir werden ja auch regelmäßig über den Fund des »Schießbefehls« aus den diversen Dependancen der Berliner Birthler-Behörde überrascht.

Die Schindler-Legende mit den Fakten in ihrem historisch konkreten Umfeld zu konfrontieren, das Gedenken an die Opfer zu bewahren und damit der historischen Wahrheit zu dienen – das macht den Wert dieses Buches aus. Es ist das Verdienst der Autorin Jitka Gruntová.

Die nicht nachlassende politische Lobby der „Vertriebenen“ in meinem Land baggert seit mehr als einem Jahrzehnt – im Tschechischen würde man das „tunelování“ nennen – um in Berlin ein mit einem internationalen Feigenblatt versehenes „Zentrum über Flucht und Vertreibung“ auf den Weg zu bringen. Die Initiatoren wollen keine Versöhnung.  Frau Steinbach und Herr Posselt haben im Deutschen Bundestag gegen die „Deutsch-tschechische Erklärung“ vom 21.01.1997 gestimmt. Frau Vertriebenenpräsidentin hat im Parlament die Oder-Neiße-Grenze zwischen Deutschland und Polen abgelehnt.

Die Mohrenwäsche alter Nazis, die Adenauer mit seinem Adlatus Globke begonnen hatte, ist so wie gehabt seit langem nicht mehr möglich. Es geht also mit verdeckten Mitteln weiter. „Aufarbeitung“ der Geschichte à la Posselt & Steinbach. Seit „Schindlers Liste“ werden die „guten, die anständigen Nazis“ gesucht und erfunden.

 Die im Titel enthaltene Fragestellung mag jeder Leser für sich selbst beantworten.

 

Klaus Kukuk, Berlin, 2010

   

Anmerkungen

 1  Fritz Lang (1890-1976), österreichisch-deutscher-amerikanischer Filmregisseur von Weltruf (»M - eine Stadt sucht einen Mörder«, »Metropolis«, »Das Cabinet des Dr. Caligari«, »Dr. Mabuse«, »Die Nibelungen«). 1935 vor den Nazis in die USA emigriert, Mitbegründer der »Anti Nazi League« in den USA. 1943 drehten Lang (Regie) und Brecht (Szenarium) einen Film über das Heydrich-Attentat »Hangman also die« (»Auch Henker sterben«).  

2  Leopold Pfefferberg, Angehöriger der jüdischen Lagerpolizei im KZ Brünnlitz (Brněnec) bei Zwittau (Svitavy), nach dem Kriege unter dem Namen Paul Page in Amerika u. a. mit Lobby-Arbeit für Oskar Schindler beschäftigt, überredete den australischen Schriftsteller Keneally zu dessen Roman über Oskar Schindler.

3 Tomás Garrigue Masaryk (1850-1937)war Gründer und erster Staatspräsident der Tschechoslowakei, Philosoph und Schriftsteller. Nach seinem Rücktritt am 14. Dezember 1935 folgte ihm Edvard Beneš nach.

4 Edvard Beneš (1884-1948) war Mitbegründer, Außenminister und Präsident der Tschechoslowakei.

5 Lord Sir Walter Runciman übergab am 16. September 1938 dem britischen Premier Chamberlain nach einer Prag-Reise einen Bericht über die Lage der Sudetendeutschen. Er war die Basis für Chamberlains Treffen mit Hitler.

6  Arthur Neville Chamberlain (1869-1940), britischer Premier von 1937  bis 1940. Exponent der Appeasement-Politik (Beschwichtigungspolitik) gegenüber Nazideutschland, Mitunterzeichner des Münchner Abkommens.

7  Der Brief an Fritz Lang ist veröffentlicht in: »Ich, Oskar Schindler – die persönlichen Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente, Hrsg. Erika Rosenberg, München 2000, S. 23-40.

8  Adolf Eichmann (1906-1962) war als SS-Obersturmbannführer (= Major) Leiter des für die Organisation der Vertreibung und Deportation der Juden zuständigen Eichmannreferats des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) zentral mitverantwortlich für die Ermordung von schätzungsweise sechs Millionen Menschen. In Israel 1962 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

9 Emilie Schindler (1907-2001), Witwe Oskar Schindlers. Ihre »Erinnerungen einer Unbeugsamen«, ebenfalls von Erika Rosenberg herausgegeben, erschienen erstmals 2001 in München.